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WICHTIGE BEITRÄGE
Ein neuer Krieg um Bergkarabach
...weiterlesenDer Karabach-Konflikt: wie objektiv berichten die deutschen medien darüber?
...weiterlesenArmenien: eine Gesellschaft voller Hass. Wie kommt es dazu?
...weiterlesenKonflikt zwischen Russland und Georgien:
Noch ein letzter Schritt zum Krieg?
Bleibt das herrschende autoritäre Regime in Armenien?
Präsidentschaftswahlen in Armenien:
Bleibt das herrschende autoritäre Regime im Land?
(Zweiter Artikel)
Offizielle Wahlergebnisse und Proteste der Opposition
Die offizielle Wahlergebnisse bei den Präsidentschaftswahlen am 10. Februar in Armenien wurden wie von den meisten Beobachtern erwartet, zugunsten der Kandidatur des herrschenden Regimes, mehrheitlich für Serje Sarkisjan, den heutigen Minister-Präsidenten der Republik entschieden: nach Angaben der Zentralen Wahlkommission habe dieser mit 52,82% der Wählerstimmen die Wahlen gewonnen.
Der Herausforderer und Hauptrivale der derzeitigen Machtinhaber, der frühere Präsident Lewon Ter-Petrosjan, habe 21,5% und der zweite populäre Kandidat der Opposition, Artur Bagdasarjan, habe 17,7% der Stimmen erhalten. Das drittgrößte Ergebnis erreichte Vaan Ohanesjan mit 6,2%.
Die anderen 6 Kandidaten haben zusammen weniger als 2 Prozent der Stimmen erhalten.
Dass das Tandem von Kocarjan-Sarkisjan um jeden Preis an der Macht zu bleiben versucht und dafür alle mögliche Wahlmanipulationen und Verfälschungen begehen würde, daran zweifelte auch fast niemand. Nach Einschätzungen vieler Beobachter (zurückhaltend die OSZE-Beobachter) und von Beteiligten, aber vor allem nach Auffassung der oppositionellen Parteien wurden die Wahlergebnisse in der Tat total verfälscht, und gegen diese massiven Wahlverfälschungen begann seit dem 20. Februar ein erheblicher Teil der Opposition unter Führung von Lewon Ter-Petrosjan zu protestieren. Tausende Anhänger von Ter- Petrosjan organisierten innerhalb von 10 Tagen auf dem Freiheitsplatz (Mardan) in Erivan permanente Kundgebungen.
Trotz kalten Wetters und sogar Schneefall blieben viele der Protestanten Tag und Nacht auf dem Freiheitsplatz und die Zahl der Demonstranten wuchs mit jedem vergehenden Tag. Außerdem schlossen sich viele Regierungsmitglieder und hochrangige Beamte Petrosjan an, unter anderen neun Parlamentsabgeordneten.
Die Regierungskreise beobachteten erst die Protestaktionen der Opposition einigermaßen gelassen oder versuchten sich so zu zeigen. Sie schienen perplex zu sein von den Maßstäben des Widerstands.
Offensichtlich haben sie erst darauf gehofft, dass mit der Zeit die Zahl der aktiv Protestierenden und zugleich das Interesse der westlichen Organisationen an den Wahlen in Armenien verringert und im Sande verläuft, zumal das internationale Interesse sich zunehmend auf die Wahlen in Russland konzentrierte.
Darüber hinaus waren in ersten Tagen nach den Wahlen viele internationale Beobachter noch im Land anwesend, was auch ein Grund dafür war, warum die armenischen Machtinhaber ziemlich lange zögerten, gegen die Demonstranten mit Gewalt vorzugehen (wie es beispielweise in Aserbaidschan bei den letzten Präsidentschaftswahlen der Fall war).1
Inzwischen versuchte die Regierung, die Reihen die Opposition zu spalten, und es gelang ihr, einen der Präsidentschaftskandidaten, der das drittgrößte Wahlergebnisse erhalten hat – nämlich den ehemaligen Parlamentspräsidenten und Vorsitzenden der Partei „Orinaz Erkir“ („Blühendes Land“), Artur Bagdasarjan, auf ihre Seite zu ziehen. Letzterer erhielt den Posten eines Sekretärs der Staatsicherheitsrates und schloss sich damit faktisch eben jener „Klicke“ an, welche er während der Wahlkampagne als „Verbrecher“ gekennzeichnet hatte. Allerdings scheint diese Positionsänderung und Prinzipienlosigkeit des jungen Politikers viele seiner Anhänger enttäuscht haben, so dass mehrere Mitglieder seiner Partei sein Verhalten als verräterisch bezeichneten und auf die Seite Petrosjans wechselten. Also, die Bemühungen der Regierung, die Reihen seiner Gegner zu spalten, hat wenig Erfolg gebracht, denn die Zahl der Demonstranten auf dem Freiheitsplatz hat sich nicht verringert, sondern von Tag zu Tag weiter vermehrt.
Es waren nur ganz wenige Beobachter und Analytiker, die so einen heftigen Widerstand von Seiten der Opposition und Bevölkerung erwartet hatten, – jedenfalls nicht in der Maße. Für viele war das DIE Überraschung bei den Wahlen!
Die heftigen Protestaktionen wurden bald ein Tagesthema für die internationale Presse und damit auch schon zur Bedrohung für die Anerkennung der Rechtmäßigkeit des herrschenden Regimes.
Ausschreitungen in Erivan
und deren blutige Ergebnisse
Genau an zehntem Tag, im 1. März haben Regimeherrscher die Demonstranten angegriffen, – anscheinend war ihre Geduld am Ende und der Zeitpunkt günstig, da die Augen der Weltöffentlichkeit auf Moskau gerichtet waren.
Der Vorwand zur Attackierung der friedlichen Demonstranten war ganz üblich für solche Regime: Regierungsvertreter erklärten, dass nach Informationen der Geheimdienste unter den Demonstranten Waffen verteilt und von der Opposition ein bewaffneter Aufstand geplant würde. Daher sollten die Streitkräfte die Leute entwaffnen und einen Staatsstreich verhindern. – Es kam zu Ausschreitungen und einem großem Gemetzel: zuerst attackierten die Spezialtruppen des Innenministeriums ohne Vorwarnung die Demonstranten, die sie mit unangemessener Gewalt (Wertung internationaler Augenzeugen) von dem Freiheitsplatz vertrieben, die Zeltstadt abräumten und Ter-Petrosjan in Hausarrest nahmen. Dann entstand eine spontane Kundgebung in einem anderen Ort, nämlich vor französischer Botschaft. Dort sammelten sich 50 – 100 Tausend Teilnehmer. Als die Streitkräfte Demonstranten auch von dort verjagen wollten, errichteten letztere auf der Straße Barrikaden und Straßensperren. Diese Demonstration wurden wiederum von Polizei, Soldaten und Spezialtruppen des Innenministeriums mit massiver Gewalt (Gas und Gummigeschosse, nach einigen Angaben auch scharfe Munition) angegriffen, konnte aber nicht aufgelöst werden. Der Widerstand der Demonstranten war allzu groß; die Bilder von stundenlangen Auseinendersetzungen zwischen Regierungskräften und Demonstranten erinnern an Schlachtszenen und das Ergebnis diesen blutigen Ausschreitungen sprechen für sich: Nach offiziellen Angaben kamen 8 Menschen ums Leben; allerdings nach anderen Quallen sind es von 20 bis 30 Töte. Die Zahl der Verletzende wurde mit 134 angegeben. Zu den Opfern gehören Angehörige beider Seiten: Demonstranten als auch Polizisten und Vertreter der Streitkräften sind darunter.
Inzwischen wurde von der Kocarjans Regierung in der Hauptstadt den Ausnahmezustand verhängt. Das bedeutet, seit diesem Moment sind alle Massenveranstaltungen verboten und die Regierung kann all ihre Gewalttaten durch die geltende Gesetzgebung rechtfertigen.
Am Abend desselben Tages rief Ter-Petrosjan von seinem Haus aus die Demonstranten auf, nach Hause zu gehen und die Bestimmungen des Ausnahmezustandes nicht zu verletzen, um Opfer zu vermeiden. Er werde weiter für die Wiederherstellung von Demokratie und Recht in seinem Land kämpfen. Diesem Aufruf folgten die Demonstranten; gegen 3 Uhr in der Nacht löste sich die Demonstration auf.
Nun herrscht in Armenien bis zum 20. März der Ausnahmezustand. Es dürfen keine Demonstrationen, Kundgebungen und andere Protestaktionen organisiert werden.
Es wurden alle freien Medien während der Zeit des Ausnahmezustands verboten. Es dürfen nur die offiziellen staatlichen Massenmedien berichten (und sie haben große Erfahrungen im Bereich der Desinformation).
Es folgen jetzt totale Repressionen gegen die Aktivisten der oppositionellen Parteien, gegen die Petrosjan-Anhänger: sie werden überall verhaftet (bis heute wurden 400 Menschen als Verdächtige festgenommen). Es wurden sogar die vier Parlamentsabgeordneten, die während der Wahlen und der Protestaktionen Petrosjan unterstützen haben, verhaftet. Der Staatsanwalt äußerte sich, dass es nicht ausgeschlossen sei, dass selbst Petrosjan verhaftet werden kann.
Momentan besitzt er als Präsidentschaftskandidat gesetzliche Immunität, aber er verliert diese Immunität, sobald das Verfassungsgericht ein Urteil über die Beschwerde Petrosjans fällt, welche er sofort nach den Wahlen bei diesem staatlichen Hochamt eingereicht hat. Das Gericht hat bereits vor Tagen mit den Verhandlungen begonnen und lt. Gesetz ist ein Beschluss innerhalb 10 Tagen vorzulegen.
Kurzum, das autoritäre Regime setzt seinen gesamten repressiven Apparat in vollem Maße ein und versucht, alle Kräfte die irgendeinen Widerstand leisten können zu eliminieren.
Als bisher einzige positive Konsequenz zeichnet sich ab, dass nach diesen blutigen Ereignissen die internationalen Organisationen (UNO, EU, ER, OSCE u a.) und auch die USA die außerordentlich kritische Lage in Armenien wahrgenommen hat und versuchen dazu beizutragen, einen friedlichen politischen Ausweg aus dieser schwierige Situation zu finden.
Natürlich sind diese Aktivitäten von Seiten oben genannter Strukturen viel spät gekommen. Aber auch verspätete internationale Hilfe ist immerhin besser als gar keine…
Finale der Auseinendersetzung
oder was ist noch zu erwarten ?
In diesen Tagen scheint in Armenien Stille zu herrschen. Dauert diese Ruhe bis zu 20. Februar oder ist es eine „Ruhe vor dem Sturm“? – Höchstwahrscheinlich weder noch.
Diese äußerliche Stille trägt in sich viele Spannungen und negative aggressive Energien, die ganz und gar bereit sind, sich bei der ersten Möglichkeiten zu entladen. Diese Situation, in der sich derzeit die armenische Gesellschaft befindet, kann man mit einem inaktiven Vulkan vergleichen, der jedoch jederzeit Zeit erneut explodieren kann.
Ter-Petrosjan hat schon verkündet, dass er und seine Angehörigen werden nicht bis zur Aussetzung des Ausnahmestands „zu Hause sitzen bleiben“, sie werden versuchen, ihre Protestaktionen auf andere Städte Armeniens auszudehnen (schon während der Erivan-Aktionen gab es ähnliche in einigen anderen Städten, unter anderem in der zweitgrößten Stadt Gümrü, wo die Bürger gegen die Gewaltanwendungen der Regierung bereits protestierten).
Selbstverständlich wollen die oppositionellen Parteien und ihre Wählerschaft nach dem 20. Februar ihre Proteste in der Hauptstadt fortsetzen. Es ist auch nicht ausgeschlossen, dass sich diesmal bei Kundegebungen und Demonstrationen noch mehr Bürger beteiligen werden. Denn nach den blutigen Ereignissen vom 1. März ist die Wut unter der Bevölkerung gegen die Regierung ganz groß geworden und diese wird sich höchstwahrscheinlich irgendwann und irgendwie Luft verschaffen.
Es gibt jedoch zwei Momente, die auf die Organisation der massenhaften Protestaktionen negativen Einfluss haben könnten:
Erstens, natürlich werden die totalen Repressionen, die die Regierung auf die Aktivisten der Protestaktionen momentan ausübt, manchen Bürgern dazu zwingen, sich von weiteren Beteiligungen an diesen Aktionen zurückzuhalten. Andererseits zieht das grausame Verhalten des Regimes von Kocarjan -Sarkisjan gegen friedliche Demonstranten diejenige Leuten an die Seite Petrosjan, die ihn früher nicht eindeutig und offensiv verteidigen mochten.
Zweitens, wegen der Informationsdefizite, die in diesen Tagen wegen des Verbots jeglicher freier Medien im Land herrscht, fehlen Kommunikationskanäle und werden Schwierigkeiten bei der Organisation von Massen entstehen.
Wenn man jedoch die Bereitschaft der Opposition und ihrer Führer gegen das herrschende Regime bis zum Ende zu kämpfen, richtig einschätzt, sollte man darauf hoffen können, dass der Widerstand der demokratischen Kräfte nicht zurück geht, sondern immer heftiger und offensiver wird.
Ob sie das bald zum erwünschten Ziel bringt, d.h. ob sie am Ende das Land vom autoritären Regime befreien können – daran gibt es heute zweifellos viel mehr Hoffnungen als zuvor. Die Umsetzung ist jetzt nur eine Zeitfrage.
Zwei wichtige Faktoren bekräftigen diese Behauptung:
Ein erster Faktor ist die Bevölkerung: es hat sich gezeigt, dass ein erheblicher Tell des armenischen Volks bereit ist, für Freiheit und Demokratie zu kämpfen.
Und die Armenier, die sich gegen die Autokratie, gegen ein korruptes und verbrecherisches Regime in ihrem Land eingesetzten, haben sogar die Großmächte der Welt, internationale Organisationen, alle europäischen Strukturen dazu gezwungen, sie bei allen ihren geopolitischen Interessenspielen, bei allem „Kuhhandel“ mit autoritären Strukturen als einen ernstzunehmenden Faktor zu betrachten.
(In diesen Tagen eilen die Vertreter aller möglichen westlichen Organisationen nach Erivan, um die letzten Ereignissen vor und nach den Wahlen am Ort zu prüfen und zu versuchen, einen Dialog zwischen der Regierung und Opposition herzustellen…usw. usf.)
Ein zweiter Faktor ist, dass die demokratische Bewegung jetzt einen entschlossenen und charismatischen Führer in der Person von Lewon Ter-Petrosjan gefunden hat, der ohnehin ist schon eine wichtige historische Figur in der moderne Geschichte Armeniens ist und über internationale Kontakte und Erfahrungen verfügt.
Da die beiden Faktoren sich einender gut ergänzen und miteinender übereinstimmen, besteht Hoffnung auf Demokratisierungschancen in der armenischen Gesellschaft.
Zum Schluss zu diesem Teil des Kommentars ein Zitat von L. Ter-Petrosjan:
„Selbst wenn mir nichts mehr gelingt, ist es mir gelungen, eine neue, eine aktive Gesellschaft zu schaffen. Das ist die Hauptsache für mich“.
Karabach und die „Freiheit der armenischen Nation“:
Welchen Zusammenhang gibt es hier?
Kaum hatte die armenische Gesellschaft von den schockierenden blutigen Ereignissen in Erivan zu sich kommen können, berichteten offizielle Infodienste „bedrohliche Nachrichten aus dem Kriegsgebiet“, nämlich aus Karabach: an der Frontlinie mit Aserbaidschan hätten Kriegshandlungen begonnen und damit einen Bruch des Waffenstillstandes von 1994 provoziert. Am Morgen des 3. März hätten aserbaidschanische Armeeeinheiten armenische Positionen an der Grenze zum besetzten Gebiet Berg-Karbach attackiert.
Tatsächlich wurden einen ganzen Tag lang Kriegshandlungen zwischen armenischen und aserbaidschanischen Truppen geführt: von beiden Seiten kamen mehrere Militärs ums Leben. Erst am Abend des nächsten Tages wurde die Waffenruhe wieder hergestellt.
Man muss hier darauf aufmerksam machen, dass es immer und oft gegenseitige Schießereien an der Grenze zwischen Aserbaidschan und BK gab. In all diesen Jahren wurden „Zwischenfälle“ gemeldet, und die Bevölkerung beider Seiten hatte sich schon seit langem daran gewöhnt. Aber diesmal waren es keine gewöhnlichen Schießerei, sondern richtige Kriegshandlungen, deren weitere Eskalation drohte.
Viele Beobachter verbinden die Nachricht mit der heutigen politischen Situation in Armenien. Die Frage, wem dienten diese Meldungen zu diesem Zeitpunkt, führt zu den innenpolitischen Zwecken der Machthaber in Erivan, die – selbst aus der Karabach-Bewegung stammend – in diesem Moment an diesen Kriegsgefahren Interesse zu haben scheinen. Auch wenn man annehmen könnte, dass auf der anderen Seite Aserbaidschan die innenpolitische Krise in Erivan ausnutzen wollte, so gibt es mindestens zwei sehr wichtige Gründe, die gegen eine „aserbaidschanische Version“ sprechen:
Erstens, mit Kriegsnachrichten werden die aserbaidschanischen ambitiösen internationalen Projekten im Bereich Energielieferungen und Kommunikationen beschädigt.
Zweitens, der aserbaidschanische Staatspräsident war am selben Tag ganz in der Nähe der Kriegshandlungen. Zumindest für die Sicherheit des obersten Staatsmannes wären solche Unternehmungen ein allzu riskantes Abenteuer gewesen!
Auch wenn sofort Anklagen gegen Aserbaidschan erhoben und internationale Organisationen angesprochen wurden den Akt zu verurteilen, könnten ausgerechnet sie selbst aufgrund der heiklen innenpolitischen Situation sehr an der Destabilisierung der Frontlinie interessiert sein, – so meinen viele Beobachter.
Dabei könnten Kocarjan und Co. folgende Ziele verfolgen:
1. Die Umlenkung der Aufmerksamkeit der internationalen Organisationen von den innenpolitischen Problemen Armeniens auf den Berg–Karabach Konflikt;
2. Die Mobilisierung der momentan ganz tief gespaltenen armenischen Gesellschaft gegen den äußeren Feind (d.h. gegen Aserbaidschan)
- Solche Manipulationen wirkten bisher fast immer auf das sehr ausgeprägte hohe nationale Bewusstsein (oder vielleicht besser gesagt: Unbewusstsein) der Armenier, welches stark durch Traumatisierungen („ewig verfolgte Nation“) geprägt ist.
Aber wie lange sind solche Stereotypen tragfähig?
Immer deutlicher wird die Frage innerhalb der armenischen Gesellschaft gestellt, welche Konsequenzen die Aufopferung für Karabach für Armenien, für eine Gesellschaft hat(te).
Sollte nun der Lohn sein, dass der regierende Karabach-Clan nicht nur die wenigen Ressourcen des Landes monopolisiert, beherrscht bzw. ausverkauft, sondern auch noch die eigene Bevölkerung blutig niederknüppelt?
Sollen jetzt die Armenier, die Karabach annektiert haben und es schon faktisch besitzen, ihre bürgerlichen Freiheiten und ihr Recht auf ein menschenwürdiges Leben diesem Clan verschenken?
Ob es sich lohnt, überhaupt alles, was Armenien einmal gehabt hatte und auch noch haben könnte, der Karbach-Frage und den Interessen der Führungselite aus Karabach unterzuordnen?
Ob das armenische Volk, das immer auf seine uralten Kulturtraditionen besonders stolz ist und sich als eine europäische Nation bezeichnet, verdient, dass es wie eine zurückgebliebene, rückständige Menschenmasse behandelt wird?
- Diese und andere Fragen beschäftigen in diesen Tagen die meisten Bürger im Land und warten auf ihre Beantwortung. Wie die Mehrheit Armenier antworten wird, werden wir bald sehen.
Wir aber haben wenigstens auf eine Frage schon eine ganz klare Antwort:
Eine ‚sanfte’, friedliche Revolution war in Armenien definitiv unmöglich! Es wurde viel Blut vergossen, und allein wegen dieser Tatsache darf man die Wahlen in Armenien nicht als „normale“, „demokratische“, „offene“, „ehrliche“, „gerechte“, und gar keinesfalls „erfolgreiche“4 bezeichnen.
Rasim Mirzayev
04. April 2008