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Der Kampf um das Kaspische Meer und die Perspektiven für Nabucco

Der Kampf um das Kaspische Meer

und die Perspektiven für Nabucco


Rasim Mirzayev

Das Nabucco Gaspipeline-Projekt, das sicherlich mehr Probleme als Chancen hat, und über das seit Jahren ständig und allzu viel geredet als gehandelt wird,  ist anscheinend im Moment in eine richtige Sackgasse geraten. Alle bisherigen Hindernisse und Schwierigkeiten auf dem Weg zur Realisierung dieses Projektes könnte man im Vergleich zu dem Problem, auf das wir hier aufmerksam machen möchten, als sekundär betrachten. – Das Problem heißt: Kampf um das Kaspische Meer oder genauer gesagt: Kampf um den Besitz der Bodenschätzungen in diesem Meer.

Diesen Kampf führen die Länder um das Kaspischen Meer, die sogenannte Anrainerstaaten, die ausgerechnet als vermeintliche Hauptlieferanten für die angeblich gewünschte Gaspipeline Nabucco gelten; also: es geht um einen verzweifelten Kampf zwischen Turkmenistan, Kasachstan, Aserbaidschan und Iran um die Erdöl- und Gasvorkommensquellen in diesem größten Binnensee der Welt.
Obwohl am 13. Juli dieses Jahres in Istanbul endlich ein Abkommen zwischen 5 beteiligten Länder (Österreich, Türkei, Ungar, Rumänien und Bulgarien) unterzeichnet und dadurch Hoffnungen auf eine Zukunft des Nabucco-Projekts ein wenig Boden gut machten, bleiben bisher viele Fragen völlig offen.
Vor allem Dingen geht es immer noch um eine Antwort auf Hauptfrage: woher bekommt die Pipeline das heiß erwünschte Gas? Also, welche Länder werden jährlich etwa 30 Mrd. Kubikmeter Gas für diese geplante Pipeline liefern? Keiner der vermeintlichen Liefer-Länder ist bis heute eindeutig klar: Kasachstan? Turkmenistan? Aserbaidschan? Iran? Irak? Ägypten?…
Alles fraglich, alles unklar! – Mit keinem dieser Länder wurde bisher ein Abkommen geschlossen und mit jedem Land gibt es Extra-Probleme!
Allerdings stellen die Streitigkeiten und  insbesondere die Konflikte um das Kaspische Meer zwischen all den Anrainerstaaten alle anderen Probleme beinahe in den Schatten.
Da der Rechtsstatus des Kaspischen Meer und folglich auch die Aufteilung des Gewässers (Wasseroberfläche/ Meersgrund) zwischen all den Anrainerstaaten noch nicht vereinbart wurde, erhebt jeder von ihnen Ansprüche auf maximalen Besitz, und alle streiten seit Jahren immer wieder um bestimmte Öl- und Gasfelder im Meer.
Zwar ist es bisweilen gelungen, diese Diskussionen und Streitigkeiten in friedlichen Rahmen zu halten, aber es scheint nach den jüngsten Ereignissen in der Region so, als ob diese Streitigkeiten zu ernsthaften Konflikten bzw. zu gewalttätigen Auseinandersetzung führen könnten. Bedauerlicherweise schenken die europäischen Regierungen diesem Problem keine entsprechende Aufmerksamkeit, was unseres Erachtens ein großer Fehler ist. Daher möchten wir hier dieses Thema ansprechen.
Da die ersten drei oben genannten Länder als die wichtigsten Lieferanten betrachtet werden und Aserbaidschan bei diesem Projekt jetzt eine Schlüsselrolle spielen soll, gehen wir zunächst auf die Probleme ein, die vorzugsweise mit diesem Land verbunden sind.
Obwohl Aserbaidschan beim Nabucco-Projekt ursprünglich nur als Transitland vorgesehen war, ist es inzwischen auch zu einem wichtigen potenziellen Lieferanten geworden bzw. wird es als solcher betrachtet. Die gewachsene Rolle Aserbaidschans bei „Nabucco“ bietet heute natürlich dem Land mehr Manövrierungschancen: zwischen Russland und Westen, zwischen Russland und der Türkei, zwischen Russland und dem Iran, zwischen Europa und Zentralasien…
Gleichzeitig ist anzumerken, dass die gestärkte Position von Aserbaidschan auch die Verhandlungen um Nabucco beeinflussen kann. Als jüngstes Beispiel kann dienen, dass nachdem die aserbaidschanische Regierung mit Moskau ein Abkommen über Gaslieferung von seinen kaspischen Lagerstätten „Schahdeniz-2“ geschlossen hatte, die Türkei auf ihre unangemessenen Ansprüche bezüglich Nabucco verzichtete, was schließlich ermöglichte, dass die fünf interessierten Länder im Juli in Istanbul das oben erwähnte Abkommen signierten.
Objektiv gesehen ist Aserbaidschan sehr interessiert an Nabucco, und das Aliyev-Regime versucht davon sowohl wirtschaftlich als auch politisch maximal zu profitieren. (Wirtschaftliches Ziel: möglichst höhere Preise für sein Gas, Finanzierungsbedarf für Großprojekte und Bereicherungssucht der Autokratie; Politisches Ziel: Unterstützung des Regimes durch den Westen). Aber die Machthaber in Aserbaidschan hoffen auch darauf, dass die westlichen Länder sie bei ihren  Streitigkeiten mit dem Iran und Turkmenien unterstützen werden.
Was den Streit mit dem Iran betrifft, scheint hier die Sache für den Westen relativ klar zu sein. Vor allem: dass es zwischen Iran und Aserbaidschan seit einigen Jahren wegen einem Gasfeld im südlichen Gebiet des Kaspischen Meers (Sektor- „Alow“) große Spannungen gibt, ist ziemlich bekannt.  2001 ist es beinahe zu einer militärischen Auseinandersetzung zwischen beiden Ländern gekommen; doch damals wurde zwischen den Regierungen beider Staaten eine Vereinbarung getroffen, deren zufolge in diesem Sektor von beiden Seiten keine Aufklärungs- und Ausbeutungsarbeiten durchgeführt werden, solange die Statusfrage bzw. die Zugehörigkeit des Sektors politisch nicht geklärt wird. Nach einigen Jahren des Status-quo versucht Iran seit zwei Monaten seine Aktivitäten dort zu aktivieren. Nachdem aserbaidschanische Sicherheitsorgane angeblich von iranischen Agenten organisierte islamistischen Terrorgruppen aufdeckten, sind Versuche, Aserbaidschan zu provozieren, viel drastischer geworden.
Es muss hier darauf aufmerksam gemacht werden, dass alle Anrainerstaaten die iranische Position bezüglich des Rechtstatus des Kaspischen Meeres für unakzeptabel halten. Denn Iran fordert eine gleichmäßige Aufteilung des Meers unter den fünf Anrainerstaaten in nationale Sektoren ungeachtet der Lange der Küstenlinie des jeweiligen Landes. Selbst Russland, das seit Jahren versucht, zusammen mit dem Iran ein strategisches Bündnis für die Kaspische Region zu gestalten, findet diesen Vorschlag unrealistisch. Bisher sind alle gemeinsamen Versuche von Anrainerstaaten, sich bei mehreren Gipfeltreffen über den Rechtsstatus des Kaspischen Meers zu einigen und die Nationalsektoren endgültig zu bestimmen, immer wieder gescheitert. Und meistens wegen der unakzeptablen und sturen Position des Iran.
Daher wurde Iran zum letzten Gipfeltreffen der Anrainerstaaten am 11-13. September 2009 in Aktau/Kasachstan nicht eingeladen. Die Staatsoberhäupter von der anderen vier Länder (Aserbaidschan, Russland, Turkmenistan und Kasachstan) wollten anscheinend die Status–Frage unter sich, also ohne Iran, erst einmal vereinbaren, was im Iran eine außergewöhnliche Empörung erweckte. Die iranische Regierung schickte umgehend wegen „offensichtlicher Missachtung iranischer Staatsinteressen“ an alle vier Nachbarstaaten Protest-Noten und hat sich in dem Sinne geäußert, dass es ohne iranische Beteiligung keine legitime Entscheidung bei dieser Frage geben dürfe.
Trotzdem ist dieser letzte Versuch, der auf Initiative Russlands unternommen wurde, wieder kläglich gescheitert: diesmal wegen dem Konflikt zwischen Turkmenistan und Aserbaidschan. Die Krawalle bei diesem informellen Gipfeltreffen war anscheinend so groß, dass Ilham Aliyev, der Präsident Aserbaidschans nach zwei Stunden Anwesenheit die Gespräche in Eile verlassen hat, obwohl zuvor ein zweitägiger Besuch von ihm in Kasachstan und Turkmenistan geplant worden war .
Die Ursache von diesem Desaster war höchstwahrscheinlich die unnachgiebige Position der turkmenischen Seite, die auch seit Jahren ein Anspruch auf ein Erdgasvorkommen im Kaspischem Meer erhoben hat, das eigentlich als aserbaidschanisches gilt. Es handelt sich um die wichtigen und in internationale Konsortien eingebundenen Vorkommen „Schahdeniz-2“ und „Schahdeniz-3“, deren Erdgasreserven ausgerechnet für das Nabucco-Projekt vorgesehen sind.
Dass Turkmenistan plötzlich und ausgerechnet in derzeitigen Moment so hartnäckig auf seine Ansprüche beharren will, damit hatte die aserbaidschanische Seite eher nicht gerechnet; obwohl die turkmenische Regierung von Zeit zu Zeit diese Ansprüche immer wieder zur Sprache gebracht hatte. Im August 2009 äußerte Staatspräsident Gurbanguly Berdymuchamedow vor der Regierung sogar seine Absicht, vor dem Europäischen Gericht eine offizielle Klage gegen Aserbaidschan einzureichen, um den Streit um die oben genannten Sektoren durch internationales Recht zu lösen. Daraufhin gab er Pläne bekannt, im Kaspischen Meer zwei Militärbasen zu errichten, um dort die Positionen seines Staates in der Region zu bekräftigen bzw. dessen Interessen „richtig verteidigen“ zu können. – Eine solche Entscheidung, würde nicht nur zu einer erhöhten Militärisierung des Kaspischen Meeres, sondern zu einer Eskalation der Konfliktsituation in der gesamten Region führen. Tatsächlich ist das Kaspische Meer bereits jetzt zu einer Militärzone geworden, wo sich schwer bewaffnete Militäreinheiten verschiedener Staaten gegenüber stehen und sich diese ständig zu verstärken suchen.

Militärische Streitkräfte im Kaspischen Meer

Derzeit gibt es zwei wichtige Militärbasen dort: in Astrachen (Russland) und in Baku (Aserbaidschan). Zwei große Militärmächte, nämlich die USA und Türkei, helfen Aserbaidschan und Kasachstan ihre Marinestreitkräfte dort neu aufzubauen.
Die aserbaidschanischen Seestreitkräfte bestehen dort aus einem Infanteriebataillon, dem  militärische Schiffe für den Küstenschutz, für Seeanlandung, für Rettungsarbeiten, auch einige U-Boote des Typs “Triton” u a. zur Verfügung stehen. Hinzu kommt eine Spezialeinheit, die für die außerordentlichen Aufgaben zuständig ist.
Die iranische Flotte für das Kaspische Meer befinden sich in Ansali und in Noushehr und wird von zwei Gruppen vertreten: von der regulären Marine und Schutzkräften der islamischen Revolution. Die Flotte besitzt ca. 90 kleine Schiffe und Motorboote, die vorzugsweise mit Raketen chinesischer Herstellung ausgestattet und seit 2003-2006 im Einsatz sind. Diese Raketen können Ziele im Radius vom 120 km erreichen.
Damit ist Iran nach Russland zum zweiten Staat im Kaspischen Meer geworden, der mit Raketen bewaffnete Streitkräfte besitzt. Vor kurzum wurde vom iranischen Verteidigungsministerium bekannt gegeben, dass geplant wird, die Marine im Kaspischen Meer mit großen, etwa 1000 t schweren und mit Helikopter tragenden Kriegsschiffen zu verstärken.
Seekräfte von Kasachstan im Kaspischen Meer bestanden bis 2003 nur aus einigen Motorbooten und einem Schiff für den Küstenschutz. Seitdem hat Kasachstan ca.10 Motorboote aus der Ukraine angeschafft; diese sind mit den Markennamen „Kalkan“ „Qrif“ gekennzeichnet und sind zu verschiedenen Aufgaben geeignet.
Außerdem plant Kasachstan neue Kriegsschiffe und Helikopter aus den USA, Russland und der Türkei zu erwerben und die Zahl der Militärpersonen bei der Marine  auf 5.000 Mann zu erhöhen.
Die Hauptbasis der Flotte von Kasachstan befindet sich in der Hafenstadt Aktau.
Die Seestreitkräfte Russlands im Kaspischen Meer sind zweifellos die stärksten in der ganzen Kaspiregion. Zumal wurde die Präsenz in den letzten Jahren durch die Überstellung mehrerer Marineeinheiten und Kriegsschiffe vom Schwarzen ins Kaspischen Meer verstärkt. Zur Kaspischen Marine Russlands gehören dutzende Kriegsschiffe mit verschiedenen Aufgaben; sie sind mit Raketen und Helikoptern ausgestattet; stationiert sind einige Infanteriebrigaden, Seelandungstruppen, Luftstreitskräfte u a.
Die wichtigsten Teile der Kaspischen Militärbasen Russlands sind in den Städten Astrachen, Mahachkala und Kaspijski konzentriert worden.
Die Seestreitkräfte von Turkmenistan besitzen zur Zeit einige Kriegsschiffe und ca. 20 Stück Motorboote für den Küstenschutz. Ein Infanteriebataillon gehört auch dazu. Aber wie schon oben erwähnt wurde, möchte Turkmenien bald eine richtige Militärbasis im Kaspischen Meer aufbauen.
Kurzum, alle diese Länder versuchen, ihre militärische Präsenz im Kaspischen Meer deutlich zu erhöhen. Die rasche Militärisierung des Meeres und damit der gesamten Region scheint jetzt ein unvermeidbarer Prozess geworden zu sein. Wozu das führen kann, falls die Konflikte und Streitigkeiten der Anrainerstaaten um die Bodenschätzen einmal richtig eskalieren würden, ist nicht schwer vorzustellen.
Selbst wenn die gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen diesen Staaten vermieden werden können, ist eine Zusammenarbeit bei einem internationalen Energieprojekt wie Nabucco nicht von hoher Wahrscheinlichkeit. Folglich: der Plan der westlichen Länder, die Pipeline schon im Jahre 2014 fertig zu stellen, entspringt nur einem Wunschtraum, solange letztere es vernachlässigen, das Konfliktpotential in der Kaspischen Region nicht ernst zu nehmen und rechtzeitig präventive Maßnahmen zu ergreifen.

14. Januar 2010

 

 

14. Januar 2010 | Artikel, Kaukasus, News, Zentralasien | Thema: | Bookmark |
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